Kommentar

Gillette: The Best An Ad Can Be

Gillette hat mit dem Spot „We Believe: The Best A Man Can Be“ nicht nur den eigenen Slogan hinterfragt und versucht, diesen in ein zeitgemäßes Licht zu rücken, sondern auch eine Debatte über Markenkommunikation in Verbindung mit gesellschaftlichen Trends entfacht. Unser Digital Stratege Michael Mehring hat sich die Diskussion mal genauer angesehen.

Das Gesprächsbedürfnis zur Kampagne ist nicht nur in der Werbebranche enorm. Wenn man sich Artikel, Kommentare und Diskussionen so durchliest, kann man drei verschiedene kritische Meinungsströme beobachten, die mehr oder weniger dominant und in Kombination auftreten:

  • Männer fühlen sich schuldig, wenn sie diesen Spot sehen. Das hat negative Effekte auf Sales
  • P&G ist kein authentischer Absender für diese Art von Kommunikation
  • Politik hat in der Werbung nichts verloren

Ich persönlich kann jede dieser Meinungen verstehen. Und differenziert betrachtet, wirkt jede dieser Meinungen unterschiedlich auf den Betrachter.

Männer fühlen sich schuldig, wenn sie diesen Spot sehen. Das hat negative Effekte auf Sales

Toxic Masculinity ist nicht nur in den USA ein Begriff. Überall auf der Welt sind Männer das kriminellere, aggressivere und übergriffige Geschlecht. Man könnte sagen „Thanks, for stating the obvious“, Gillette. Aber die Reaktion auf den Spot lässt darauf schließen, dass sich immer noch viele Männer dessen nicht bewusst waren oder die Realität verklären. Es kann also ein Gedankenanstoß für viele aus der Zielgruppe sein. Sich schuldig zu fühlen kann zu einer Verhaltensänderung oder zu Ablehnung führen und ist nicht per se negativ. Die Männer, die nun die Marke wechseln, werden wahrscheinlich mit gutem Gefühl verabschiedet.

P&G ist kein authentischer Absender für diese Art von Kommunikation

Gillette selbst ist nicht gerade ein Vorzeigebeispiel für moderne Geschlechterrollen. Sei es in Zusammenhang mit einer völlig schamlosen Preispolitik, die Frauen für pinke Rasierer draufzahlen lässt, oder dem Menschen- und vor allem Frauenbild, das in der Kommunikation auch heute noch stattfindet. Deshalb ist der Schritt unerwartet, wenngleich nicht überraschend. Er wirkt eher wie ein von langer Hand geplanter, mutiger Schritt in der langfristigen Markenausrichtung. Denn wenn Gillette sich konsequent dem Feminismus verschreibt, kann das in weiter Zukunft ein relevantes Markenasset sein, um Wettbewerbsvorteile zu generieren. Aber das muss jetzt erstmal bewiesen werden. Als One-Shot wird diese Kommunikation nur irritieren – und keine Glaubwürdigkeit aufbauen. Dafür sind Konsumenten zu klug.

Politik hat in der Werbung nichts verloren

Eine große Fähigkeit der Amerikaner ist die fehlende kognitive Dissonanz bei der Konfrontation mit offensichtlicher Doppelmoral. In einer Gesellschaft, in der Religion und Politik, Sport und Business, Kommerz und Kultur so konsequent vermischt werden wie in vielleicht keiner anderen auf der Welt, sind die persönlichen Grenzen die, die zählen. Und dass sich unsichere Männer von der vielleicht männlichsten Marke die sie kaufen, erzählen lassen müssen, dass auch sie einen positiven Beitrag zur Gesellschaft zu leisten haben, mag tatsächlich ein wenig aufdringlich wirken. Gillette wählt einen Weg, der sofort eine persönliche Assoziation hervorruft. Das ändert aber nichts daran, dass jeder Mann tief in sich drin weiß, dass die Nachricht korrekt ist. „Grenzüberschreitend“ ist keine negative Beschreibung für Werbung. Auch nicht in dieser Kampagne.

Auch aus Werber-Sicht kann man den Gillette-Spot lieben und hassen. Aber in jedem Fall sprechen Menschen über die Marke und den Impact des Spots. Was man nicht machen sollte, ist langfristiges Brand Building (wozu dieser Spot hoffentlich den Anfang einer Neuausrichtung darstellt) mit Abverkaufskommunikation zu vergleichen. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Umsätze bei Gillette kurzfristig zurückgehen werden. Aber genauso halte ich es für realistisch, dass sie in fünf oder zehn Jahren deutlich besser dastehen als heute.

Am Ende kann man sich das Spektakel ansehen und ohne schlechtes Gewissen zu dem Schluss kommen: Man muss die zwei Extreme in dieser Diskussion nicht unterstützen. Man ist ja durchaus versucht, sich einem Lager zuzuordnen.

Menschen möchten sich nicht zwischen einem Großkonzern, der den Feminismus nutzt um mehr Rasierklingen zu verkaufen und einer testosteron-geschwängerten Unsicherheit entscheiden.

Alleine aus diesem Grund ist „We Believe“ nicht „The Best An Ad Can Be“. Aber sicher auch nicht das schlechteste.

 

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